Macht das Internet dumm?

Kategorie: Internet und Gesellschaft

Droht die digitale Demenz?

Eltern, Lehrer, Politiker und Unternehmer beklagen in den letzten Jahren eine zunehmende Verdummung der Gesellschaft. Sie bemängeln das nachlassende Wissen in vielen Bereichen. Elementare Fähigkeiten (Texte formulieren, Bücher lesen, Kopfrechnen …) verschwinden. Die vermeintlich Schuldigen für die Entwicklung: das Internet und die Smartphones. Durch den ständigen Umgang mit diesen digitalen Medien verringert sich die Aufnahme- und Merkfähigkeit, so die Annahme. Menschen googlen in sekundenschnelle wichtige Informationen. Das Smartphone speichert viele Daten und hilft beim Finden von bestimmten Straßen. Die User in den sozialen Netzwerken sind nur noch mit Meinungen konfrontiert, die der eigenen Weltanschauung entsprechen. Die entstehende Filterblase erzeugt ein einseitiges Weltbild.

Infografik: Macht das Internet dumm?

Macht das Internet dumm? Oder macht es die Menschen sogar schlauer?

Inhalt

Wie viele Telefonnummer kennen Sie auswendig?

Viele Menschen kennen nur noch sehr wenige oder gar keine Telefonnummern auswendig. Vor 20 Jahren war es noch normal, die Telefonnummern von Freunden oder Bekannten im Kopf zu haben. Heutzutage speichert das Smartphone die Nummern und die entsprechenden Namen ab. Sich die Telefonnummern zu merken, fällt weg. Wir belasten unser Gehirn nicht mehr mit diesen Informationen. Nutzen wir den freigewordenen Hirnspeicher anderweitig oder führt die digitale Speicherung von Daten dazu, dass unsere Merkfähigkeit verkümmert?

Der externe Speicher speichert zuverlässig die Daten. Ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit dieser Speicher erschüttert, vergessen wir eine Information weniger schnell. Ein kompletter Datenverlust durch ein defektes Smartphone, führt dazu, dass wir die Informationen in Zukunft anderweitig speichern. Die Speicherung erfolgt dann auf einem anderen Datenspeicher (PC, USB-Stick) oder wir drucken zur Sicherheit eine Liste aus. Tendenziell merken sich die Betroffenen nach einem Datenverlust mehr Daten als davor.

Amerikanische Wissenschaftler fanden im Rahmen einer Studie heraus, dass durch die digitale Speicherung von Daten die Merkfähigkeit steigt.
Dafür gaben sie an die Teilnehmer zwei Listen (Liste 1, Liste 2) mit Begriffen aus. Anschließend lernten die Probanden die Liste auswendig. Liste 1 verteilten sie zuerst. Die Begriffe auf Liste 2 dagegen fragten sie zuerst ab. Bei der zweiten Studienrunde durften die Teilnehmer die Begriffe auf Liste 1 ansehen und dann digital abspeichern. Liste 2 schauten sie ohne Speichermöglichkeit nur einmal an. Danach bestand die Möglichkeit Liste 1 nochmals anzusehen.

Die Teilnehmer sahen Liste 1 zweimal an und speicherten sie digital ab. Während die Probanden Liste 2 nur einmal anschauten und nicht abspeicherten.

Die Befragten lernten Liste 1 in der zweiten Runde, durch das zweifache Anschauen, besser auswendig. Obwohl sie Liste 2 beim zweiten Mal nur einmal betrachteten, merkten sie sich die Inhalte besser als in der ersten Runde.

Die Studienteilnehmer speicherten in der zweiten Runde Liste 1 digital. Dadurch merkten sie sich Liste 2 besser, obwohl sie die Liste wie in der ersten nur Runde einmal anschauten.

Die digitale Speicherung setzte Kapazitäten im Gehirn frei.

Infografik: Studie zur digitalen demenz

Der Biologe Younes Medkour stellte bei Betrachtung seiner gelesenen Bücher fest, dass er sich an die genauen Inhalte nicht mehr erinnerte. Daraufhin schrieb er einen interessanten Artikel:
Die Menschen konsumieren im Internetzeitalter dreimal mehr Informationen als zuvor. Das Gehirn arbeitet nun anders und vergisst viele Daten schneller. Die Informationen verbleiben nicht lange genug in unserem Gehirn, um dauerfhaft abrufbar zu sein. Das Internet funktioniert wie externes Speichermedium. Das Gehirn weiß, wo es die Informationen findet und speichert nur noch diesen Fundort und nicht mehr die Information ab. Ähnlich verhält es sich mit den Büchern, das Gehirn kennt den Standort der Bücher und belastet sich nicht mehr mit den genauen Inhalten.

Das Internet macht uns also nicht dümmer, sondern sorgt nur für eine andere Art der Informationsverarbeitung.

Lohnt sich im Google-Zeitalter die Aneignung von Wissen?

Mit Google rufen Sie beliebige Informationen zu allen denkbaren Themen innerhalb kürzester Zeit ab. Kaum geben Sie den Suchbegriff ein, schon erhalten Sie eine Liste von verschiedenen Webseiten, die die von Ihnen gewünschten Informationen enthalten. Wählen Sie unbedingt die richtigen Suchbegriffe  und ordnen Sie die Ergebnisse der Suche richtig ein.  Geben Sie einen unpassenden Suchbegriff ein oder interpretieren Sie die Suchergebnisse falsch, ist die gesamte Suche nicht zielführend.

Haben Sie in Ihrem Leben keine einzige Zeile PHP programmiert, nutzt Ihnen die Suche nach einem PHP Zufallsgenerator wenig. Sie sind nicht dazu in der Lage, diesen PHP-Code in Ihre Seite einzubauen. Ohne PHP-Grundkenntnisse funktioniert das nicht. Durch Google finden Sie nur Fakten und erwerben keine Fähigkeiten.

Reines Faktenwissen, ohne die Fähigkeit der Interpretation und Einordnung erweist sich meist als sinnlos. Die Möglichkeit alle denkbaren Informationen schnell zu finden, erlaubt den Menschen sich weniger zu merken. Mit Kenntnissen in der Webprogrammierung, finden Sie Lösungen für viele  Probleme. Ohne diese Grundkenntnisse klappt das nicht.

Schnellere Verfügbarkeit von Informationen

Durch das Internet ist es einfacher, an Informationen zu kommen. Das Nachschlagen in Bücher oder das Warten auf Fernsehsendungen entfällt. Wissen ist jetzt für jeden Menschen mit Internetanschluss jederzeit und unkompliziert verfügbar. Diese  enorme Erleichterung bedeutet, dass die Chance besteht, das Wissen der Gesellschaft insgesamt zu erhöhen.

Die wenigsten 20-Jährigen orientieren sich problemlos mit einer Landkarte oder mit einem Kompass. Diesen Verlust an Fähigkeiten gab es in allen Phasen der Geschichte. Ein Holzboot bauen, auf die Jagd gehen oder Kühe melken – alles Dinge, die nur noch eine Minderheit beherrscht. Sie sind allesamt nicht mehr zum Überleben notwendig. Die Menschen eignen sich genau die Kenntnisse an, die nötig sind, um das Leben zu meistern.

Die Eltern verfügen über Fähigkeiten, die die Kinder nicht besitzen und umgekehrt. Das war schon immer so und kommt nicht erst durch die Digitalisierung.

Internet macht dumm – Bücher machen schlau?

Bücher machen nicht per se schlau, genauso wenig wie das Internet qua natura dumm macht. Es gibt jede Menge geistloser und vollkommen trivialer Bücher, die weder schlau machen noch in irgendeiner Form den geistigen Horizont erweitern. Während es Millionen von informativen und hochwertigen Webseiten gibt. Nicht das Medium an sich macht dumm oder schlau. Es kommt immer darauf an, wie das Medium genutzt wird.

Der einzelne Mensch sucht sich seine Literatur oder seine bevorzugten Webseiten aus. Die Verdummung einer Gesellschaft hängt nicht unmittelbar mit einem Medium zusammen. Das Internet trägt je nach Wahl der Inhalte zur Bildung oder Verdummung bei. Das gilt für das Fernsehen, das Radio,  Zeitungen, Bücher oder das Internet.

Medienkompetenz für die richtige Internetnutzung

Der Bereich Medienkompetenz schult darin, die jeweiligen Medien richtig zu nutzen. Vor 30 Jahren machten die Lehrer ihre Schüler mit der Systematik der Schulbibliothek vertraut. Kindern und Erwachsene lernen heute den richtigen Umgang mit dem Internet. Wie suche ich mit Google. wie beteilige ich mich an Internet-Diskussionen und vor allem wie bewerte ich die Inhalte?  Diese Fähigkeiten bilden die Grundlage für einen  verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet.  Was unterscheidet  eine seriöse Seite von einer unseriösen? Wie trenne ich echte Fakten von Falschmeldungen? Die Schulung in all diesen Fragen  verhindert eine Verdummung der Gesellschaft. Das Internet macht nur bei falscher Nutzung und fehlender Medienkompetenz dumm.

Studien – Macht das Internet dumm?

  • Evan F. Risko von der University of Waterloo fand in einer Studie
    heraus, dass die Verfügbarkeit des Internets uns dazu verleitet, zu sagen, dass wir bestimmte Dinge nicht wissen, obwohl wir sie eigentlich wissen. Schließlich können wir die Information auch googeln und brauchen unser Gehirn nicht zu belasten. Ohne Internetzugang vertrauten die Probanden ihrem eigenen Wissen etwas mehr als mit Google-Unterstützung. Eine mögliche Erklärung des Wissenschaftlers war, dass eine falsche Antwort ohne Internetzugang eher akzeptiert wird als mit Internet. Die Menschen sind daher in diesen Situationen mutiger, wenn es darum geht Fakten aus dem Gedächtnis zu vertrauen. Die bloße Existenz des Internets verändert also laut dieser Untersuchung unser Handeln.
  • Experten der University of Cincinatti kamen in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass technologische Hilfsmittel uns nicht dümmer machen. Wir nutzen nur unser Gehirn anders. Der Weg zu einer Veranstaltung ist durch ein Navi oder mit einem Smartphone kein Problem mehr, wir belasten unser Gehirn nicht mehr damit, diesen Weg zu finden. Stattdessen entstehen freie Gehirnkapazitäten zur Lösung anderer Probleme.
  • Ein internationales Forscherteam untersuchte 2019, wie das Internet unser Gehirn verändert.
    Demnach verleitet uns der konstante Informationsstrom aus dem Internet dazu, ständig online zu sein und neue Information aufzunehmen. Das führt dazu, dass wir uns
    weniger auf eine Sache konzentrieren können. Weil die meisten Fakten nur einen Klick entfernt sind, ändert sich auch die Art, wie wir unser Gehirn nutzen. Gerade für Heranwachsende
    stellt die ständige Online-Aktvität eine Gefahr dar. Die Forscher schlagen daher eine konzentriertere Nutzung des Internets mit online-freien Zeiten und weniger Multitasking vor.

Tabelle: Pro und Kontra – Macht das Internet dumm?

Internet macht dumm 👎 Internet macht nicht dumm 👍
Durch das Internet verlieren wir elementare Kenntnisse wie Landkarten lesen, Telefonnummer auswendig lernen, Fakten behalten, Rechnen … Es kommen neue Fähigkeiten hinzu, sodass weniger Gehirnvolumen durch überflüssiges Wissen beansprucht wird.
Menschen gelangen leichter an Fehlinformationen und merken sich falsche Fakten. Es ist sehr einfach, an neue Informationen zu gelangen. Die Informationsbeschaffung ist für jeden Bürger möglich.
Die Schnelligkeit des Internets führt zu einer Veränderung der Denkprozesse. Durch andere Denkweisen ergeben sich neue Potenziale, bisher unbekannte Gebiete zu erforschen. Die Vernetzung von Menschen mit ähnlichen Interessen, die voneinander profitieren ist so einfach wie nie.
Wir finden in sekundenschnelle alle relevanten Fakten und sind sehr geschickt darin, die Suchanfragen passend zu formulieren. Aber wir denken nicht mehr über die gefundenen Fakten nach und gehen nicht in die Tiefe. Außerdem führt das ständige Surfen im Internet zu einer Reizüberflutung und vermindert die Konzentration. Eine Lupe erlaubt es uns Details zu sehen und ein Auto ermöglicht uns schnellere Fortbewegung. Das Internet macht schnellere Informationsbeschaffung möglich und erweitert unser verfügbares Wissen. Es kommt auf die richtige Nutzung und ausreichende Medienkompetenz an, um das enorme positive Potenzial des Internets auszunutzen.

 

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